Im August 1976 wurde drei "SCALEBOARD" bei der Ausfahrt aus dem Objekt der Jüterboger Raketenbrigade beobachtet. Das müsste dann Jüterbog - Neues Lager gewesen sein. Diese Meldung ist als B-3 eingestuft, im Buch von Hr. Uhl kann man das ggf. entschlüsseln. Es fiel auf das die Raketenspitze etwa einen Meter über das Doppelfahrerhaus hinausragte. Es wird davon geschrieben das zwar schon desöfteren SCALEBOARD gesehen wurden aber eingeschätzt das diese Meldung die konkreteste und detaillierteste für das westliche Vorfeld der UdSSR sei. Die mehrseitige Meldung liegt mir in Fotokopie vor.
Einige Anmerkungen zu der BND-Meldung vom 28. September 1976:
1. Man muss zwischen der eigentlichen Meldung des "Spähers" aus dem Monat August 1976 und der Analyse dieser Meldung in der Abteilung III des BND unterscheiden. Ich hab jetzt nicht nachgeforscht, aber ich glaube mich zu erinnern, dass die Abteilung III oder 3 mal die Auswerte-Abteilung des BND war. Der Späher hat nämlich nicht gemeldet, dass er "drei "SCALEBOARD" bei der Ausfahrt aus dem Objekt der Jüterboger Raketenbrigade beobachtet hat". Er hat an einem Nachmittag um 15:00 Uhr (!) einen GAZ-69/68 und 3 MAZ-543 aus einem Objekt in Jüterbog fahren sehen. Auf jedem MAZ soll ein "verplanter "Raketenbehälter"" gelegen haben. Trotz der Verplanung will der "Späher" gesehen haben, dass die Spitze des Behälters einen Meter über das doppelte Fahrerhaus hinausragte und dass die Spitze "dieses Flugkörpers" (!) aussah, wie eine große Flugzeugnase.
2. Ich habe noch kein Bild von einer während des Landmarsches
verplanten Startrampe 9P120 oder einem verplanten Raketentransportfahrzeug 9T215 des Komplexes 9K76 TEMP-S gesehen. Der Container mit der Rakete oder dem Träger liegt auf allen Bildern (außer eben bei Bildern von Eisenbahntransporten, bei denen das gesamte Fahrzeug verplant wird) frei auf dem Spezialaufbau des Basisfahrzeugs.
3. Meines Wissens wurden selbst 8 Jahre später alle Verlegungen von Startrampen und anderer Spezialtechnik der 119. und der 152. Raketenbrigade (bis auf die als Show aufgemachte Rückverlegung in die Sowjetunion 1988) aus Geheimhaltungsgründen nachts durchgeführt (vermutlich sogar nur in den Teilen der Nacht, wo die bekannten Aufklärungssatelliten der USA und der NATO gerade nicht über dem Horizont waren; auf diese Art "Versteckspiel" wurde auch die SS-23-Raketenabteilung der NVA getrimmt). Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man 1976 auf eine mögliche Vorverlegung von SS-12-Brigaden öffentlichkeitswirksam hingewiesen hat, indem man entsprechende Technik am hellerlichten Nachmittag eines Hochsommertages durch die Gegend fahren ließ.
4. "Ein GAZ-69/68 und 3 MAZ-543" ergibt in Bezug auf den Raketenkomplex 9K76 keinen Sinn. Außer bei Fahrten zur Parade oder zur Abrüstung/Vernichtung gibt es bei den Raketentruppen in aller Regel Marschbänder von Einheiten und Truppenteilen mit einer bestimmten Technikzusammenstellung. Und selbst, wenn da nur eine Startbatterie mit zwei beladenen Startrampen und einem Transportfahrzeug rausgefahren wäre, dann hätten in der Regel weitere Fahrzeuge, wie ein GAZ-66 der Vermesser und vor allem das Prüf- und Startfahrzeug mit dabei sein müssen (der "GAZ-69/68" geht dann als Führungspunkt des Batteriechefs durch). Bei einer technischen Einheit wäre wohl mindestens ein Kran (z. B. 9T35 auf MAZ-537K zum Umladen der Rakete und ggf. noch ein 9T31M für die Gefechtskopfmontage) und ein Prüffahrzeug im Marschband gewesen. Das der "Späher" 1976 ausgerechnet in dem Moment vor Ort war, wo eine völlig atypische Bewegung von Spezialtechnik stattgefunden hat, möchte ich bezweifeln.
5. Der BND-Analytiker schreibt sinngemäß, dass in Jüterbog "die SCUDBrig der GSTD stationiert ist" und sinniert dann über Gliederungsänderungen bei SCUDBrig auf Frontebene nach. Hat jemand der geschätzten Mitleser einen Hinweis parat, wonach 1976 in Jüterbog entweder nicht die 27. Raketenbrigade sondern eine andere (nämlich eine der drei bekannten SCUD-Raketenbrigaden der Frontebene der GSSD) stationiert war oder dass die 27. Raketenbrigade 1976 nicht der 20. Gardearmee sondern dem Oberkommando der GSSD unterstand? Ich muss jedenfalls an dieser Stelle passen. Für mich war die 27. Raketenbrigade auch 1976 schon der 20. Gardearmee unterstellt. Der Punkt ist allerdings sehr wichtig. Denn angesichts ihrer Reichweite kam die SS-12 SCALEBOARD grundsätzlich nicht für einen Einsatz auf Armee-Ebene in Betracht. Wir suchen also für das Jahr 1976 nach einer Raketenbrigade mit direkter GSSD-Unterstellung im Dislozierungsraum "Objekt JÜTERBOG 207" (was immer damit auch gemeint ist). Erst wenn die gefunden ist, bekommt die Sache überhaupt einen Sinn.
6. Der BND-Analytiker schlussfolgert dann vollkommen richtig, dass auch wegen der international bedeutsamen Implikationen (es wird auf den SALT-Vertrag Bezug genommen) eine Überprüfung des Hinweises im Großraum Jüterbog erforderlich ist. Am Ende steht der wohl wichtigste Satz: "Bis zum Eingang evtl. Bestätigungen hat diese Meldung keinen Einfluss auf die Kräfteordnung der GSTD." Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nach 1976 nicht zu einer Änderung der offiziellen Ansichten der westlichen Seite über die Zusammensetzung der Raketentruppen der GSSD gekommen ist. Gibt es denn irgendeine in den Archiven verzeichnete Bestätigung für die Meldung vom August 1976?
7. Egal, welchen Hintergrund die Meldung des "Spähers" hatte (ob er sich ein paar D-Mark dazuverdienen wollte und den Sachverhalt erfand; Bilder von der Startrampe 9P120 konnte er im Fernsehen bei der Übertragung von Paraden auf dem Roten Platz gesehen haben, oder ob er den verplanten Ausleger von SCUD-B-Startrampen einer Raketenabteilung der 27. Raketenbrigade aus ungünstiger Perspektive zu weit vorstehen sah), sie erscheint schon deshalb in höchstem Maße fragwürdig, weil weder die westlichen MVM noch weitere nachrichtendienstliche Quellen eine Bestätigung liefern.
Es war trotzdem sehr interessant, dieses Dokument mal gesehen zu haben. Insofern - Danke, @Büttner!