Leipzig: Kernkraftwerk Süd

Hallo an alle,

in den Unterlagen von Hein Kahlow
(hat alle DDR-Reaktoren angefahren und ein Fachbuch zur KKW-Technik geschrieben)
wird in einer Abfallübersicht
KKW Dessau mit 4 x 1000 MW aufgelistet.


mfg Ralph
 
KKW Dessau

Folgendes findet sich auf den ersten Blick:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/BPJIQOWNOORU5XF3QUBDAIBMZQWNUK4P (unten)

Und das führt zu
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/ORBZYCYPGYNWG3G4DJB5GDVRVQN7XHWY

Kernkraftwerk Dessau
Archivaliensignatur:
BArch, DG 12/1022
Alt-/Vorsignatur:
ohne
Kontext:
Ministerium für Kohle und Energie >> DG 12 Ministerium für Kohle und Energie >> Energieindustrie >> Kernenergie
Laufzeit:
1975-1977
Enthältvermerke:
Enthält u.a.:
Anlaufberatung zum Standort des Kernkraftwerkes IV vom 31.12.1977
Beratungen beim Kombinat Kraftwerksanlagenbau Berlin
Übersichtsplan "Leistungsabführung KKW vom 31.01.1977"
Abstimmung zwischen dem MKE und Rat des Bezirkes Halle zur Sicherung der energetischen Versorgung des komplexen Wohnungsbaues am 12.11.1976
Karte: "Vorgaben für die langfristige Entwicklung der Stadt Dessau vom 06.06.1975"
 
Das würde aus meiner jetzigen Sicht bedeuten, dass in einer frühen Standortfindungsphase für das KKW IV ein Standort bei Roßlau gefunden war und ernsthaft geprüft wurde. Später kam man dann dazu, das KKW IV besser bei Dahlen bauen zu wollen.

P.S: Roßlau (Dessau) macht durchaus Sinn: Mit der Elbe ist Kühlwasser vorhanden. Wegen der Großkraftwerke Vockerode und Zschornewitz waren in diesem Raum sternförmig Hochspannungsleitungen und Elbübergänge bereits vorhanden. Nachteil wäre ein sehr aufwändiger Hochwasserschutz.
 
Hallo an alle,

- die Abfallübersicht hat Datum 1979
- werde in den nächsten Wochen wieder KKW-Material einscannen und veröffentlichen


mfg Ralph
 
@Ralph, ok - danke. Wir warten.

@Martin2, zu der von dir angeführten frühen Diskussionsvariante zu KKW IV kommt auf jeden Fall nach der langen Standortthematisierung hier dazu, daß es in Roßlau/Dessau immer noch zu weit im Norden gewesen wäre.

Grüße Frank
 
Die Mitteldeutsche Zeitung hat zufälligerweise :) zum geplanten Standort Dessau recherchiert.

Nach diesem Artikel sollte das KKW IV zunächst im Geiseltal, dann bei Dessau errichtet werden. Für den Standort Dessau waren die Planungen weit vorangeschritten: Selbst Beschäftigte und Wohnungen waren klar. Bei der Suche nach einem Standort merkte man, dass der ins Auge gefasste Standort nicht gründungssicher war. Ein weiterer Standort lag minimal auf dem Gebiet des Bezirks Magdeburg, dafür wollte man die Bezirksgrenze verschieben.

Der Artikel hat Widersprüche: Mal ist man bei der Standortplanung und hat verschiedene im Auge. Mal war man noch nicht bei der Standortplanung. Und Bezirksgrenzen haben die DDR noch nie gestört - wie man am Flugplatz Holzdorf sowie am TÜP Annaburg gut sehen kann.

Prädikat lesenswert:
http://www.mz-web.de/nachrichten/ge...sau-als-letzter-ausweg,20641290,32707734.html
 
Die DDR hatte offenbar zumindest planerisch vor, die komplette Dübener und Dahlener Heide umzugestalten....

Mich hat nunmehr umfangreiches Material zur Kernenergiepolitik in der DDR via ehemaliger Kollegen erreicht. Insgesamt über 200 Seiten, sehr kompakt und interessant. Ich schaffe es aus Zeitgründen die nächsten Tage nicht mich intensiver damit zu befassen....

Steht in den Unterlagen auch etwas über ein KKW im Bereich Dübener Heide?
Ich meine nicht für eine Leitung sondern als Standort.

In meinem ansonsten gut sortierten Fotoarchiv habe ich die Bilder der Ausstellung auf den ersten Blick nicht gefunden. Das mag daran liegen, dass ich Ausstellungen eher unauffällig mit Handy fotografiere, die Serie daher ggf. falsch beschriftet ist. Oder ich habe vielleicht überhaupt nicht fotografiert, das wäre auch möglich.

Sind denn die Fotos aufgetaucht Martin?

VG
Andreas
 
Hallo zusammen,
der Gesprächsfaden hier ist ja schon etwas angejahrt.Na macht nichts.
Ja, es wurde in der DDR an der Entwicklung von Kern-Heizwerken gearbeitet, welche die Fernwärmeversorgung sicherstellen sollten.
Auch für Leipzig war eins vorgesehen; allerdings kenne ich nicht den geplanten Standort.
Ich war bis 1985 an der TU Dresden, Sektion Energieumwandlung, und habe an der Entwicklung mitgearbeitet. Arbeitsthema: "Berechnung einer rotationssymmetrischen Zwei-Phasen-Strömung bei scharfkantiger Umlenkung im Zugschacht eines Kernheizreaktors". Bei Interesse kann ich gern mehr schreiben (keine GVS mehr)
Matthias
 
Dann leg mal frisch los.

BTW: Somit würde der Standort bei Dahlen mit eigentlich fehlender Kühlung erst Sinn ergeben.
 
Hallo zusammen,
ich habe mal in alten Unterlagen gestöbert und mich nochmal kundig gemacht.
Wohlgemerkt-meine Erkenntnisse beziehen sich nur auf Kern-HEIZwerke, nicht auf konventionelle KKW.

Aufgrund von einer weiter bestehenden Energiekrise und durch die starke Verschmutzung durch die Braunkohlekraftwerke im Süden (Thürigen, Sachsen und Sachsen-Anhalt), wollte man mehr auf die Kernenergie setzen. Man hatte vor, von Kohle auf Uran umzusteigen. Ein Bericht des Institut für Energetik in Leipzig aus dem Jahr 1984 sah vor, dass bis zum Jahr 2000 die Kohlekraftwerke im Ballungsraum Halle und Leipzig schrittweise durch Kernheizwerke (KHW) ersetzt werden sollten. Unter anderem ab 1995 durch das Kernheizwerk Leuna, Buna, Lippendorf und nach 2000 durch das KKW(!) Delitzsch.
Forschungen daazu erfolgten an der TU Dresden sowie an der IHS Zittau. Als Vorlage diente der sowjetische Kernheizreaktor AST 500, ein Siedewasserreaktor. Alledings war der Typ erstens zu groß für die Zwecke in der DDR und zweitens entsprach die Sicherheit nicht den Ansprüchen der dichtbesiedelten Gebiete.
Die Heizwerke sollten wegen des erforderlichen Fernwärmenetzes in ca. 10 km von besiedelten Gebieten gebaut werden.

Zur Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus wurden bei diesen Anlagen neuartige Leichtwasser-Reaktoren eingesetzt, bei denen der Primärkerislauf integral im Reaktorbehälter angeordnet ist und der Wärmeträger im Naturumlauf zirkuliert. Bisher wurden bei Kernreaktoren die Intergralbauweise und der Naturumlauf immer getrennt angewendet.
Der Anreicherungsgrad des Urans hätte lediglich etwa 3 bis 4 % betragen; mit Natururan (0,7 % Uran-235 und 99,3 % Uran-238) wird ein Leichtwasserreaktor auch nicht kritisch.
Im Reaktor selbst waren also Core (Brennelemente) , Druckkammer und Wärmetauscher vereinigt. Keinerlei radioaktives Wasser mußte das Reaktorgehäuse verlassen . Von der UK Atomic Energy Authority wurde das System als "Safe Integral Reactor" bezeichnet. Auf Grund der wesentlich geringeren Leistungsdichte, des geringen Drucks und Temperaturen gegenüber Reaktoren zur Stromerzeugung sollte der Typ besonders sicher sein. Das im Verhältnis zum Core sehr große Wasservolumen hätte ein Melt-down mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert.
Erzeugt werden sollte Heizwasser mit 180-200°C. (kein Dampf, daher auch keine Kühlung durch Fluß- oder Seewasser erforderlich)
Leistungsgröße zwischen 100 - 150 MW

Eigentlich immer noch eine saubere Sache. Zumal nach dem Kohleausstieg die Frage der Heizwärmeversorgung großer Städte nicht mal angedacht ist. (Leipzig ca. 40% Fernwärme-derzeit aus der Abdampfwärme des Kraftwerks Lippendorf versorgt)

verwendete Quellen:
Michael Hänel, “Das Ende vor dem Ende“. Zur Rolle der DDR-Energiewirtschaft beim Systemwechsel 1980-1990
Adam, Ernst, Prof. Dr. rer. nat.; Gläser, Günter, Dr.-Ing.; Großmann, Jochen, Dr.-Ing., DD Technische Universität Dresden, 8027 Dresden, Mommsenstraße 13, DD
"PATENTSCHRIFT 244 385 A - Verfahren zur Steuerung einer Kernheizanlage - 01.04.87 "
 
Eigentlich immer noch eine saubere Sache. Zumal nach dem Kohleausstieg die Frage der Heizwärmeversorgung großer Städte nicht mal angedacht ist. (Leipzig ca. 40% Fernwärme-derzeit aus der Abdampfwärme des Kraftwerks Lippendorf versorgt)
Heute nimmt man wohl gerne Gasturbinen.
https://corporate.vattenfall.de/ube.../erzeugung/bauprojekte/heizkraftwerk-marzahn/
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Heizkraftwerk_Klingenberg
https://de.wikipedia.org/wiki/Gasturbinenkraftwerk_Ahrensfelde
 
Wohlgemerkt-meine Erkenntnisse beziehen sich nur auf Kern-HEIZwerke, nicht auf konventionelle KKW.
Das wundert mich etwas. Den höchsten Wirkungsgrad erhält man, wenn man den Heißdampf (ich meine nicht den Primärkreislauf) zunächst in eine Dampfturbine zwecks Stromerzeugung schickt und danach noch die Wärme weitestmöglich ausnutzt. Hier klingt das jetzt so, als ob gar keine Stromversorgung vorgesehen war - oder habe ich das falsch verstanden?

Danke übrigens für Deinen interessanten Beitrag.
 
Es wurde wohl auf die "primär/erste" Stufe Stromerzeugung verzichtet um nicht so "heiß" zu laufen, also das Risiko sinkt mit sinkendem Wirkungsgrad.

etwas OT: Gab es wirklich durch Umweltschutz begründete Überlegungen auf KKW-Technik zu wechseln? Ich bin erstaunt und begeistert, wird doch oft so getan (DDR-Reportagen) als wenn zu dieser Zeit keinerlei Rücksicht auf die Umwelt genommen wurde....(Langzeitschäden durch Atommüll mal ausgeklammert)

Grüße
 
etwas OT: Gab es wirklich durch Umweltschutz begründete Überlegungen auf KKW-Technik zu wechseln? Ich bin erstaunt und begeistert, wird doch oft so getan (DDR-Reportagen) als wenn zu dieser Zeit keinerlei Rücksicht auf die Umwelt genommen wurde....(Langzeitschäden durch Atommüll mal ausgeklammert)
Mal ganz allgemein: Wir reden hier über Planungen. Man kann ja alles Mögliche und Unmögliche planen. Die andere Sache ist die - was wird umgesetzt? Will sagen: Von Planungen kann man im Grunde nicht auf politische Absichten schließen. Erst wenn etwas umgesetzt wurde, kann man sagen "ahh, das wollten die also".

Beispiel, wieder genau der gleiche geografische Raum Leipzig und Chemiedreieck:
Da werden gleichzeitig ein Kernkraftwerk, ein Kernheizwerk und ein riesiger Tagebau nördlich der heutigen A14 bis Bad Düben geplant. Das passt überhaupt nicht zusammen.

Auch Umweltschutz war in der DDR Planthema. Während meines Studiums durfte ich mich damit näher befassen, für Immisionsschutz war eigentlich alles da, was heute so state of the art ist: Feinstaubfilter, E-Filter, Bio-Filter. Also man hätte das gekonnt, es wurde mit Sicherheit auch geplant. Aber dabei blieb es halt - die DDR war über ihren ökonomischen Möglichkeiten. Und so blies allein die Karbidfabrik von Buna stündlich (!) vier Tonnen (!) Kalkstaub durch den Schornstein in die Luft - geheim allerdings. Wir wurden darüber belehrt, dass das wegen des Klassenfeinds, der das missbraucht, geheim sei. Und das das im Grunde gut sei, weil das das von Leuna in die Welt gesaute Schwefeldioxid neutralisieren würde ...
 
Hier klingt das jetzt so, als ob gar keine Stromversorgung vorgesehen war - oder habe ich das falsch verstanden?
Ja genau, auf Stromerzeugung wurde komplett verzichtet. Sozusagen ein kleiner Heizkessel mit einem sehr abgespeckten Atomfeuerchen

Heute nimmt man wohl gerne Gasturbinen.
Gasturbinen dienen der Stromerzeugung. Eventuell wird die Abwärme zu Heizzwecken genutzt. Da verteuerbare Energien Einspeisevorrang haben, gehen GTD nur noch selten in Spitzenzeiten ans Netz. Leider. Drei Betreiber im Norddeutschen haben ihre Anlagen inzwischen stillgelegt, da kein wirtschaftlicher Betrieb mehr möglich ist (z.B.Verschleiß beim Ab- u. Abfahren).

Da werden gleichzeitig ein Kernkraftwerk, ein Kernheizwerk und ein riesiger Tagebau nördlich der heutigen A14 bis Bad Düben geplant. Das passt überhaupt nicht zusammen.
doch, das paßt haargenau. Das KKW sollte der Ersatz für die bis dahin totgelaufenen Kohlekraftwerke Lippendorf, Vetschau, Thierbach, Schkopau und weitere sein und Halle/Leipzig/Chemieregion mit Strom versorgen. Das KKW wäre möglichst weit weg von bewohneten Gebieten gebaut worden.
Die Kernheizwerke waren als Ersatz für die ausgefallene Fernwärme der Städte Halle/Leipzig/Merseburg gedacht und nahe der Städte disloziert (Stichwort begrenzte Länge eines verlustoptimierten Fernwärmenetzes)
Kohle wurde immer noch gebraucht. Es wären immer noch BKW am Netz gewesen, Kohle war der wichtigste Rohstoff in der chem. Industrie (Synthesegaserzeugung, Prozeßwärme etc.) Auf das Öl von Kolja konnte man sich auch nicht mehr verlassen.

Wer mehr Interesse an dieser Technik hat und über den beengter deutschen Atomhorizont hinausblicken mag, der such im Netz mal "Kleinreaktoren" - und wird erstaunt sein. Die damals erlangten Erkenntnisse wurden nach dem Ende der DDR mit Interesse von westlichen Ländern genutzt und in die Praxis umgesetzt. Heute sind Heizreaktoren bereis in Betrieb (Betriebsdauer 25-30 Jahre bis zum Brennelementewechsel)

Kleiner Gag am Rande: Mein Vater fand Mitte der 90er seine Patentzeichnungen (nicht mal grafisch verändert) in fern-öst-asiatischen Konstruktionsvorschriften für Kraftwerksanlagen wieder. Die Asiaten haben auf Vaterns Beschwerde hin ein erkleckliches Sümmchen angeboten, verbunden mit einer zu unterschreibenden Schweigeverplichtung. Natürlich gern genommen...
 
Danke für Deinen wirklich interessanten Beitrag.

Weißt Du, wie weit die Standortfindung für das in Rede stehende Atomheizwerk war?
 
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