Ich habe mir erlaubt ein komplettes Artikelzitat zu posten » Ich bin der Meinung, es ist wegen der Gesamt-Situation angemessen. Wem das zuviel scheint, sollte zumindest die letzten drei Absätze lesen.
Sarkophag für Fukushima - Planspiele fürs Strahlengrab
Schritt für Schritt versuchen die Einsatzkräfte in Fukushima, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Doch selbst wenn ihnen das gelingt, geht die Arbeit erst richtig los. Die Pannen-Reaktoren werden zum teuren, komplizierten Pflegefall.
Im besten Fall wird die Welt ein gigantisches und ziemlich teures Anti-Atomkraft-Mahnmal haben. Noch eines, muss man wohl besser sagen. Denn selbst wenn die Einsatzkräfte die Situation im Atomkomplex Fukushima Daichi unter Kontrolle bekommen, ist das erst der erste Schritt auf einem langen Weg.
Am Samstag versuchten die Einsatzkräfte erneut, das Schlimmste zu verhindern. Das Ergebnis:
■ Reaktor 1: Stromkabel sind verlegt. Wasserpumpen sollen bald angeworfen werden und für Kühlung sorgen. Ob die Geräte noch funktionieren, ist unklar.
■ Reaktor 2: Stromkabel sind verlegt, es ist unklar, ob die Kühlung noch funktioniert. Die innere Reaktorhülle ist beschädigt, Radioaktivität tritt aus.
■ Reaktor 3: Wasserwerfer haben zur Kühlung mehr als tausend Tonnen Meerwasser auf den Reaktor gespritzt. Mit Erfolg, sagt die Regierung. Die Brennelemente des Reaktors enthalten hochgefährliches Plutonium. Das Kühlsystem ist ausgefallen, die innere Reaktorhülle soll noch intakt sein.
■ Reaktor 4: Wasserwerfer sollen den Reaktor kühlen. Durch Explosionen klaffen Löcher in der Außenwand des Gebäudes, das Dach ist zerstört. Radioaktivität tritt aus einem Abklingbecken aus.
■ Reaktoren 5 und 6: In die Dächer beider Reaktorgebäude wurden Löcher gebohrt. Dadurch soll Wasserstoff entweichen, um Explosionen vorzubeugen. Brennelementebecken werden mit Notstrom aus Dieselgeneratoren gekühlt.
Am Ende der Arbeiten könnte ein Monstrum aus Stahl und Beton stehen, wie man es vom Block 4 des Havarie-Kraftwerks in Tschernobyl kennt. Eine solche Konstruktion müsste dafür sorgen, dass die Umgebung des Kraftwerks nicht mit radioaktivem Material verseucht wird. Nicht heute - und nicht in Tausenden von Jahren.
"Man muss etwas machen, um die Reaktoren abzudecken", sagt der Reaktorsicherheitsexperte Hans-Josef Allelein von der RWTH Aachen. "Nur so lässt sich verhindern, dass in Zukunft Regen in die Anlagen dringt." Bei einigen Reaktoren ist die Containment genannte Sicherheitshülle nach Bränden und Explosionen nicht mehr intakt. Dazu kommen die freiliegenden Brennelementebecken. Von dort kann immer wieder strahlendes Material in die Biosphäre gelangen - ein unhaltbarer Zustand.
Der Betreiber der Reaktoren von Fukushima erwägt deswegen nach eigenen Angaben, die Reaktoren unter einer Schutzschicht zu begraben. "Es ist nicht unmöglich, die Reaktoren mit Beton zu überziehen", erklärte ein Sprecher der Firma Tepco am Freitag. Vielleicht sei ein gezieltes Abdecken die einzige Möglichkeit, eine katastrophale Ausbreitung von Strahlung zu verhindern, ließen japanische Ingenieure wissen.
Klar scheint: Fukushima wird auch auf lange Sicht ein Pflegefall. Ein teurer und komplizierter. "Die Anlage wird sicher nicht weiter betrieben", sagt Christian Küppers vom Ökoinstitut Freiburg. "Ein Wiederaufbau wäre erstens zu teuer, und zweitens hätte man damit einen veralteten Reaktor." Experten machen sich bereits erste Gedanken darüber, wie eine Schutzhülle für die defekten Anlagen aussehen könnte. "Es wird erst einmal eine Notkonstruktion geben müssen, wie in Tschernobyl", sagt der Physiker Helmut Hirsch, der in Hannover als Berater für Nuklearsicherheit arbeitet. Später könne man dann eine Überhülle bauen, um die Strahlung einzuschließen, so Hirsch. Doch auch unterhalb der Reaktoren könnte eine Abschirmung nötig sein.
"Einen riesengroßen Sarkophag wie in Tschernobyl braucht man wohl nicht, weil das Material lokal konzentrierter ist", sagt der frühere Atomaufseher Wolfgang Renneberg im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Anders ausgedrückt: Nach den bisherigen Erkenntnissen liegt der strahlende Schrott zu großen Teilen noch innerhalb der teils schwer beschädigten Reaktorgebäude.
"Das kann man in den nächsten Monaten noch nicht machen"
Im Idealfall, so sagt Renneberg, entwickle sich die Situation vergleichbar zu der am US-Kraftwerk Three Mile Island. Nahe der US-Stadt Harrisburg war es im März 1979 zu einem Störfall gekommen. In der Folge eines Problems im Kühlsystem schmolz im Block 2 rund ein Drittel des Reaktorkerns. Mittlerweile ist das Kühlsystem trockengelegt, die Reste des Reaktorkerns sind entfernt. Gekostet hat das nach einem Bericht der "New York Times" rund eine Milliarde Dollar. Komplett abgebaut wird die Anlage vielleicht nach dem Ende des nebenan noch laufenden ersten Blocks - also irgendwann nach dem Jahr 2034.
Nach dem Unglück in Three Mile Island habe es fünf Jahre gedauert, bis man zum ersten Mal in die Reaktorbehälter habe schauen können, sagt Wolfgang Renneberg. Und in Fukushima könnten noch längere Zeiträume nötig sein. "Dieser Unfall war viel kontrollierter als der in Japan", sagt Helmut Hirsch mit Blick auf Three Mile Island. Für Japan heißt das wohl nicht zuletzt warten, warten, warten: "Reingehen kann man da wahrscheinlich sehr lange nicht." Immerhin, im Vergleich zum Katastrophenreaktor Tschernobyl sieht Renneberg auch durchaus Vorteile: "Man kann eine geordnetere Dekontamination der Anlage organisieren."
Wenn die Notfallmaßnahmen Erfolge zeigen, sind nach Ansicht des Atomexperten folgende Schritte nötig:
■ Die Rettungsmannschaften müssen Wege innerhalb der Reaktorgebäude dekontaminieren.
■ Anschließend müssen sie die Löcher im Sicherheitssystem des Reaktors stopfen. Nur so kann die weitere Freisetzung von weiteren Radionukliden in die Umwelt verhindert werden.
■ Reaktoren und Brennelementebecken müssen dauerhaft gekühlt werden: Die Reaktoren mehrere Wochen - und die wassergefüllten Becken mit den alten Brennstäben sogar mehrere Jahre.
Wie auch immer eine Abschirmung im Detail aussehen wird, die Arbeiten dafür können ohnehin erst in einiger Zeit starten. "Das kann man in den nächsten Monaten noch nicht machen", sagt Sicherheitsexperte Allelein. Zunächst einmal müsse festgestellt werden, an welchen Stellen der Gebäude es welche Strahlenbelastungen gebe. Mann könne nicht Bauteile einbetonieren, an die man vielleicht noch einmal heranmüsse - zum Beispiel, um sie an anderer Stelle sicher zu lagern.
Und auch wenn eine Schutzhülle für Fukushima irgendwann einmal gebaut ist, geht die Arbeit weiter. Denn das Grab für den Strahlenschrott ist aufwendig zu pflegen. Der provisorische Stahlsarg von Tschernobyl hielt nach seiner Konstruktion noch nicht einmal 20 Jahre. In den Jahren 2004 und 2006 wurde die einsturzgefährdete Struktur notdürftig stabilisiert. Rund 50 Millionen kosteten die Arbeiten. Doch das ist ein Klacks gegen das, was für die neue Schutzhülle in Tschernobyl aufgewendet werden muss. Das New Safe Confinement soll die größte bewegliche Baustruktur aller Zeiten werden - und mindestens 1,6 Milliarden kosten.
Doch selbst wenn die gigantische Überdachung in Tschernobyl - 150 Meter lang, 250 Meter breit, 105 Meter hoch - irgendwann nach 2020 fertig wird, wird sie nicht ewig halten. Schon nach spätestens hundert Jahren wird sie wohl wieder ersetzt werden müssen. Auch das Strahlengrab in Fukushima wird die Welt wohl auf Jahrhunderte hinaus beschäftigen.
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