AW: Bunker Langsdorf / Eichenthal- Troposphärenfunkzentrale 302
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Reportage - Lindholz
Im Geisterschiff der Bunkerwelten
Schon zu DDR-Zeiten wühlte Götz Thomas Wenzel gern im Untergrund. Nach der Wende tauchte er erneut ab – und wurde fündig: In Lindholz-Eichenthal in Mecklenburg-Vorpommern führt er seit einigen Jahren Touristen durch eine ehemalige Bunkeranlage.
Von Simone Labs
»Wer mir hier eine Handy-Verbindung nachweisen kann, dem schenke ich den Bunker.« Götz Thomas Wenzel lächelt in die Runde der Besucher. Auf allen Displays dasselbe: Kein Netz. Wie auch, wir befinden uns im sichersten Raum Mecklenburg-Vorpommerns, unter einer etwa fünf Meter starken Schutzdecke im Fernmeldesaal des Atombunkers der Troposphärenfunk-Zentrale (TFZ) 302 in Eichenthal. Noch vor 20 Jahren gab es einmal 26 dieser besonderen Bunker, jeweils im Abstand von 180 bis 200 Kilometer, verteilt über die Warschauer Vertragsstaaten, mit Ausnahme von Rumänien, die sich die teuren Anlagen nicht leisten wollten.
In der DDR gehörten drei Bunkeranlagen zu diesem geheimen Kommunikations-Netzwerk, das in erster Linie der Aufrechterhaltung des Kontaktes im Falle eines Kernwaffenanschlages diente. Der Bau der Troposphärenfunkzentralen wurde 1980 beschlossen, doch bis zur kompletten Inbetriebnahme des Systems sollten noch sechs weitere Jahre vergehen. Die Funkverbindung funktionierte mit Hilfe von Streustrahlen, die sich in der Luft, in der Troposphäre kreuzten und über diese Art Brücke den Informationsaustausch ermöglichten.
Qualitätsarbeit aus der DDR
Durch einen langen Tunnel gelangen die Besucher in das Innere der 600 Quadratmeter großen Bunkeranlage. Schon nach wenigen Minuten kratzt die Luft beim Atmen wie feines Sandpapier an den Stimmbändern. Sie riecht nach feuchtem Mauerwerk, Maschinenöl und Lösungsmitteln. Fahles blaues Licht fällt auf das eiserne Eingeweide des Bunkers mit seinen riesigen Rohren, Generatoren, Pumpen und Filtern. Aus allen Ecken zischt, ächzt, tropft und dröhnt es. Die Arme überziehen sich mit Gänsehaut. Dieser Koloss lebt! Rost hat sich bis in mehr als zwei Meter Höhe ins Metall gefressen. So hoch stand das Wasser im Untergeschoss. Jemand hatte es nach der Stilllegung geflutet. »13 Jahre Wasserstand. Funktioniert dennoch. Das war Qualitätsarbeit aus der DDR«, bemerkt Götz Thomas Wenzel trocken. 2004 begann er mit dem Auspumpen. Da war seine Entscheidung bereits gefallen, er würde bleiben und den Bunker zum Museum umbauen, auch wenn die Handvoll Bewohner von Eichenthal ihn zu Beginn für verrückt erklärten und er neben den natürlichen Schimmelpilzen auch gegen die Amtsschimmel im Landratsamt anzukämpfen hatte. Die Faszination für den Bunker war stärker.
Und es ist nicht der erste Nische, in der der 50-Jährige Unterschlupf findet. Der Luftschutzbunker im elterlichen Haus im Prenzlauer Berg verwandelte sich für den kleinen Jungen Götz in eine Filmkulisse, in der er ganz allein die Regie übernahm. »Und das war so prägend«, meint Götz Thomas Wenzel, »dass mich das nicht mehr verlassen hat. Beim Umzug vom Prenzlauer Berg zum Alexanderplatz waren es dann die Marienkirche und deren Grüfte, vergessene oder nie benutzte Verkehrsschächte, die man als ›Blinddärme‹ in Berlin zuhauf gebaut hat und die Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg.« Den Kinderschuhen entwachsen, erlernte er zunächst den Beruf eines Gießers und Schmelzers, studierte uneingetragen ein wenig Regie, Archäologie und Ägyptologie, landete schließlich am damaligen Kulturhaus Mitte. Doch er blieb der Einzelgänger, der seinen eigenen Ideen bewusst folgt und sich im Leben nicht nach Anderen richtet. So verließ er 1984 die sichere Arbeitsstelle und beantragte einen Berufsausweis, der ihn als selbstständigen Regisseur und künstlerischen Produktionsleiter auswies. Götz Thomas Wenzel wirkte mit bei Rock für den Frieden und dem Festival des politischen Liedes, wurde zum Organisator von großen Konzerten mit Künstlern wie Miriam Makeba, Udo Lindenberg, James Brown oder Bryan Adams. »In der DDR so was zu machen, hieß, aus Scheiße Bonbons machen. Es gab keine materiell-technische Basis, keine Fahrzeuge, kein Dieselkontingent, keine Arbeitskräfte.«
1990 hat sich das geändert, dann hieß es nicht mehr »aus Scheiße Bonbons machen, sondern aus Geld Scheiße machen«, kommentiert er. Er tauchte wieder ab in die Unterwelt und beschäftigte sich mit den Berliner Geisterbahnhöfen, die er in einem gleichnamigen Buch dokumentierte, und im Auftrag des Senats mit den Bunkern um den Potsdamer Platz und den Überresten der Reichskanzlei. Dann verabschiedete sich der Solist, wie er sich selbst bezeichnet, aus Berlin und zog sich nach Mecklenburg-Vorpommern zurück, wo er schließlich auf diesen Bunker stieß. Immer wieder zog es ihn in die gespenstischen Räume. Nach zahlreichen Tauchgängen stellte er fest, dass der Bunker noch zu retten war und begann mit dem Abpumpen. Bis zur Erschöpfung. Sieben Monate lang. Im Pult des Bunkerdispatchers fand sich das Protokollbuch. Die letzte Diensteintragung lautet: »7. Januar 1992, 15.30 Uhr Bunkerstrom stromlos geschaltet.« Für die oberen Räume der Nachrichtentechnik besorgte Götz Thomas Wenzel Schaltschränke und Gerätschaften aus einer anderen TFZ in Polen.
Lebensgefährliche Sendefrequenz
Auf den beiden Monitoren wechseln die Bilder von Raketen, einer Explosion, dann der Pilz. Dazwischen rauschen russische Wortfetzen. Der Raketenzielzuweiser gibt seinem Steuermann die letzten Anweisungen. Götz Thomas Wenzel weiß, dass die Baget 417 S in Russland heute noch im Einsatz sind. »Das ist für mich ein Zeichen, dass es seiner Zeit schon damals in den 1980er Jahren, als es entwickelt wurde, sehr voraus war«. Eine Technik, die einen gleichermaßen staunen und erschaudern lässt. Da die Frequenzen – gesendet wird im 4 GHz-Bereich – lebensgefährlich sind, befinden sich die Sender hinter einer speziellen Wand, die mit einer Doppeltür gesichert ist. Sie war wie alles in diesem Betonwürfel auf den Atomschlag und eine Umgebungstemperatur von 1700 Grad vorbereitet. Wäre es zu einer Kernwaffendetonation gekommen, hätte die Besatzung im vollständig hermetisch abgeriegelten Bunker 24 Stunden ihren Dienst fortsetzen können und vielleicht weitere vier Wochen mit entsprechender Schutzlüftung. Dann wären die Treibstofftanks leer und die Lebensmittelvorräte aufgezehrt gewesen.
Mit diesem Wissen gingen die 45 Militärangehörigen an ihren Dienst. Sie taten ihre Pflicht jeweils 24 Stunden lang von früh um 7 Uhr bis zum nächsten Morgen. Dann begann für die nächsten die Schicht. Sie schliefen in hängenden schmalen Betten, drei Mann übereinander. Die Kantine war so klein, dass immer nur die Freischicht an den Tischen Platz fand. Und nirgendwo ein Fenster. Tagtäglich sorgte die Mannschaft für die Funktionstüchtigkeit der Anlagen und dabei wurde sie bis zum Mai 1990 nur zweimal wöchentlich in Betrieb genommen – aus Sicherheitsgründen, um eine Enttarnung aus dem Westen zu vermeiden.
Neben dem Troposphärenfunk-Geräteraum liegt der des Nachrichtendispachters. Götz Thomas Wenzel geht hinter eines der Pulte und mit wenigen Handgriffen versetzt er sein Publikum in die Situation eines Atomwaffenangriffes. Für Sekunden scheint der Bunker sich aus seiner Verankerung zu lösen, zu bersten. Der Druck bohrt sich in die Ohren, breitet sich im ganzen Körper aus. Ein Windstoß jagt durch den Raum. Dann wird es still, ein letztes Vibrieren durchzieht den Fußboden. Wir schlucken, atmen auf. Es ist ja nur eine Inszenierung. Und doch steht in vielen Gesichtern die Frage: »Was wäre gewesen, wenn es tatsächlich zu so einem Angriff gekommen wäre?«
Zu dieser Frage gesellen sich andere, über die hier genau an diesem Ort der Geschichte nachgedacht, gesprochen werden kann. So wird Geschichte erlebbar. Hierin sieht Götz Thomas Wenzel seine Motivation und er zitiert George Santayana. »Wenn man sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist man verurteilt, sie zu wiederholen.« Und so will denn Götz Thomas Wenzel mit seinem Bunker erinnern. Er soll erzählen vom Kalten Krieg, vom Eisernen Vorhang, vom zerstörerischen Wettrüsten und das mit allen Mitteln der Imagination, Geräuschen, visuellen, mechanischen Effekten und der hervorragenden Begleitung durch seinen Kapitän. Er hat das Geisterschiff der Bunkerwelten aus den Tiefen des Vergessens gezerrt und als Mahnmal vor uns aufgestellt.
Bunker Eichenthal, Militärhistorisches Sonderobjekt 302, Eichenthaler Weg 7, 18334 Lindholz OT Eichenthal, Tel.: (038320) 64 98 66,
www.bunker-302.de, E-Mail:
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MfG, FA